Heidi Bauer mag Mauritius und sie mag Musik. Und beides zusammen bedeutet für sie Seggae, eine Mischung aus Roots-Reggae à la Jamaica und dem Sega, der Musik der afrikanischen Sklaven auf Mauritius, die jeder Urlauber schnell im Ohr hat und dort nicht wegbekommt.
In ihrem Artikel für die Internet Plattform „Home of Rock“ widmet sie sich kritisch und persönlich der Geschichte des Seggae und den politischen Ereignissen, die damit eng verbunden sind.
„Fight Again – Reggae auf Mauritius“ von Heidi Bauer
Reggae auf Mauritius? Da mag der eine oder andere stutzen. An was denkt man, wenn man Mauritius hört: An Urlaub, Sonne, Palmen, Strand. An teure Hotels und schicke, reiche Menschen, die dort urlauben, und dass man sich das selber niiiiiemals wird leisten können. Der Philatelist denkt natürlich an die kleine blaue Briefmarke, die er sich noch viel weniger leisten kann. Und da wäre dann noch die geographische Einordnung. Mauritius, das ist doch in …… falsch, NICHT in der Karibik. Mauritius liegt im Indischen Ozean, östlich von Madagaskar, gehört zu Afrika und zur Inselgruppe der Maskarenen.
Und auf dieser kleinen Insel gibt es eine lange Reggae-Tradition. Dabei ist das so verwunderlich nicht, hat doch Mauritius geschichtlich ein ganz ähnliches Schicksal, wie das Reggae-Mutterland Jamaica. Im 16. Jahrhundert wurde Mauritius von den Portugiesen entdeckt und dann erst von den Holländern und 1715 von den Franzosen besetzt. Die sorgten dafür, dass die Wälder zugunsten von Zuckerrohrfeldern und Bananenplantagen abgeholzt wurden und für die harte Feldarbeit Sklaven aus Ostafrika auf die Insel geschafft wurden. Mit den Engländern fällt zwar 1835 die Sklaverei, als billige Arbeitskräfte holen sie dafür Inder und Chinesen. 6 Jahre nach Jamaica, 1968, entlässt England Mauritius in die Unabhängigkeit. Ein wesentlicher Unterschied zu Jamaica besteht aber darin, dass die ca. 60% Inder auf der Insel die Macht in Politik und Wirtschaft übernehmen. Den etwa 30% Creolen bleiben die alten „Sklavenarbeiten“ auf dem Feld oder am Bau oder sie sind arbeitslos. Ein nicht zu lösender Teufelskreis, weil den jungen Creolen eine gute Ausbildung aus finanziellen Gründen oft nicht möglich ist.
Angesichts dieser Strukturen ist es dementsprechend schlecht bestellt um die Akzeptanz der ca. 3000 auf Mauritius lebenden Rastafarians. Reggae in der Tradition von Bob Marley ist für sie fester Bestandteil ihres Lebens und in den 80er Jahren schufen einige Rasta-Musiker, darunter Joseph Réginald Topize, aka Kaya, und die Band Racinetatane eine für Mauritius ganz eigene Musikform, den Seggae.
Seggae ist eine Mischung aus Roots-Reggae à la Jamaica und dem Sega, der Musik der afrikanischen Sklaven auf Mauritius, der traditionell auf einfachen Instrumenten gespielt wurde wie Triangel, Maravane, einer mit Körner gefüllten Büchse, und der Ravanne, einer flachen Trommel, die erst am Lagerfeuer erwärmt werden muß, damit sie richtig klingt und schwingt. Bemerkenswert ist dabei, dass der Sega nicht nur eine für Touristenshows aufrechterhaltene Tradition ist, sondern auch heute noch lebendig ist. Der Sega wird von den Creolen bei ihren heißgeliebten Picknicks am Strand, bei Hochzeiten oder anderen Familienfeierlichkeiten gesungen und gespielt und, sehr erotisch und hüftbetont, getanzt.
Und weil der Seggae auch die Musik ist, mit der die Rastafarians ihre Identität ausdrücken wollen, werden die teilweise recht kritischen Texte über ihr Leben auf Mauritius auf Creol gesungen. Creol ist die, stark ans Französisch angelehnte, Sprache, die von den meisten Mauritianern gesprochen wird. Denn obwohl den Mauritianern das Französisch viel näher wäre, ist die offizielle Amtssprache Englisch, das Viele nur von ein paar Schuljahren her mehr oder oft auch weniger beherrschen.
Reggae-Konzerte sind bei den Mauritianern (und damit sind nicht nur die Creolen gemeint) sehr beliebt, von Regierungsseite allerdings nicht gerne gesehen. Nicht zuletzt deswegen, weil auf diesen Veranstaltungen immer wieder der Genuß von Marihuana propagiert wird, auf Mauritius streng verboten und bis vor ein paar Jahren noch mit der Todesstrafe belegt.
Und genau das wird dem populärsten und auch international bekannten Vertreter des Seggae, Kaya, zum Verhängnis. Nach einem Auftritt, bei dem er öffentlich auf der Bühne einen Joint raucht und zur Legalisierung aufruft, steht die Polizei vor seiner Haustüre. Das Haus wird durchsucht – ohne Ergebnis – Kaya in U-Haft genommen. Nach 3 Tagen, am Morgen des 21. Februar 1999, wird er in seiner Zelle erschlagen aufgefunden. Versuche der Regierung, den Vorfall als Selbstmord darzustellen, schlagen dank Kayas Familie fehl, die eine 2. Autopsie verlangt. Im Jahr zuvor mussten bereits 2 bekannte Seggae-Sänger, darunter Baccalorial, ihr Leben im Gefängnis lassen. Jetzt kocht endgültig der Volkszorn. Tagelang demonstrieren Creolen gegen die Regierung, es kommt zu Ausschreitungen, indische Geschäfte werden in Brand gesteckt. Die Polizei (natürlich indisch) greift hart und brutal durch. Bei einer dieser Straßenschlachten verliert ein weiterer beliebter Vertreter dieser Musikrichtung sein Leben. Berger Agathe bricht von Dutzenden von Geschossen getroffen zusammen und verblutet auf dem Weg ins Krankenhaus.
Es dauert Tage, bis auf Mauritius wieder ein einigermaßen normales Leben einkehrt. Bereits im Ausland angeforderte militärische Hilfe kommt zum Glück nicht zum Einsatz. Aber die Ereignisse im Februar und März 1999 haben bis heute Auswirkungen auf das mauritianische Leben. Das oftmals hochgelobte Bild vom friedlichen Miteinander der verschiedenen Kulturen hat einen bösen Kratzer bekommen.
Die Reggae- und Seggae-Szene liegt völlig am Boden, ihre bedeutensten Vertreter sind tot. Die Polizei verbietet aus Angst vor neuen Ausschreitungen nahezu alle Konzerte. Da hilft es auch wenig, dass sich die ASCR (Association Socio-Culturelle Rastafari), eine von Rastafarians gegründete offizielle Organisation, die sich unter anderem um Umwelt- und Naturschutz sowie kulturelle Veranstaltungen kümmert, redlich um die Durchführung von Festivals bemüht.
Nahezu die einzigen, die als Band noch bestehen und weiter arbeiten sind Fight Again. Sänger Patrick Lindor, die Gitarristen Daniel Cloridor und Pierre-Louis Cledio, Berty Pirogue am Keybord, Bassist Benjamin Lallsing sowie der Percussionist Levi proben fleißig, um für einen eventuellen Auftritt bereit zu sein. Zusammen mit Bands aus Réunion, den Seychellen und Martinique nahmen sie im letzten Jahr das Dub-Album Indian Ocean in Dub auf, das den mauritianischen Rastas gewidmet ist.
Ein Reggae-Album mit Eigenkompositionen ist eigentlich fertig, leider fehlen fürs Abmischen die finanziellen Möglichkeiten.
Die Formation arbeitet schon seit den 80er Jahren zusammen und hat in den frühen 90ern beachtliche Erfolge, touren sogar durch England, Schottland, Holland und Frankreich, damals allerdings noch unter dem Namen Natty Rebel und mit dem Sänger Ras Natty Baby, der sich jedoch 1994 von der Band trennt und nach Europa geht. Ein Jahr später und mit dem neuen Sänger Ras Pat (Patrick Lindor) versucht die Band unter dem Namen Fight Again einen Neustart. Ihr Focus ist der Roots-Reggae, verbunden mit einer entsprechenden politischen Message.
Weil bei den Mauritianern „ihr“ Seggae aber weitaus beliebter ist, nehmen Fight Again 1997 das Seggae-Album Nuvo Refleksyon auf. Und eines ist klar: Das sind allesamt klasse Vollblutmusiker. Denn obwohl die Instrumente für uns wohl teilweise museumsreif wirken und die Aufnahmebedingungen sicher nicht dem letzten Stand der Technik entsprechen, ist der Sound des Albums durchaus ok. Und die Jungs können auch weitaus mehr als Bob Marley Songs nachspielen. (Auch wenn ich die creolische Version von Natural Mystic, die ich bei einer Bandprobe gehört habe, wirklich erstklassig finde). In Nuvo Refleksyon hört man neben dem Reggae natürlich eine gehörige Portion Afrika, aber auch immer wieder Einflüsse von Rock, Pop und Blues. So fröhlich und beschwingt wie die Songs auf uns Winter und Kälte geplagte Mitteleuropäer wirken, sind die Inhalte allerdings nicht. In ihren Texte setzen sich Fight Again mit der problematischen Situation der Creolen und insbesondere der Rastas auseinander, üben politische Kritik, wollen aber auch ermuntern, nicht aufzugeben.
Trotzdem muß man sicher kein schlechtes Gewissen haben, wenn man sich beim Anhören der Seggae-Songs auf Nuvo Refleksyon entspannt zurücklehnt und ein bisschen tropische Urlaubsstimmung aufkommt.
WIrklich super interessanter Beitrag!!!
Komme selbst aus Mauritius und hab einige Sachen nicht gewüßt.
Danke.