Dr. Martin Sturmer bietet mit seiner Nachrichtenagentur afrika.info österreichischen Medien erstklassige Beiträge aus der Perspektive des Kontinents. Von Kairo bis Kapstadt. Von Dakar nach Mogadischu. Und natürlich auch zu Mauritius. Sehr erfreut sind wir, dass uns Herr Dr. Sturmer für ein Interview zur Verfügung stand.
„Telling Africa‘s Untold Stories“ – Interview mit Dr. Martin Sturmer von afrika.info
Herr Dr. Sturmer, stellen Sie sich unseren Lesern vor, woher kommt Ihre journalistische Leidenschaft für den schwarzen Kontinent?
Meine Leidenschaft für den Journalismus habe ich schon als Kind entdeckt. Als Zwölfjähriger habe ich für den Ortsteil, in dem ich aufgewachsen bin, eine eigene Postille angefertigt. Das Interesse für Afrika kam später dazu – ich denke, dass Live Aid und Bob Geldof da eine ganz wichtige Rolle gespielt haben. Später habe ich dann Afrikanistik und Kommunikationswissenschaft in Wien und Dar es Salaam studiert: Die Verbindung der beiden Fächer war mir immer wichtig, so habe ich z. B. als Disseration „The Media History of Tanzania“ verfasst.
Welche Mission verfolgen Sie mit afrika.info?
Afrika wird tagtäglich in den Medien verleumdet. Die Fixierung auf die K-Themen wie Kriege, Krisen, Katastrophen, Korruption und Krankheit zeigt einen kleinen Ausschnitt der afrikanischen Realität – aber eben nur einen Ausschnitt. Dieser Journalismus schadet dem Kontinent und seinen Menschen, vor allem aus wirtschaftlicher Hinsicht. Wer will schon in Länder investieren, die permanent am Abgrund torkeln? afrika.info möchte die Wahrnehmung des Kontinents ändern, in dem es Beiträge von afrikanischen Journalisten österreichischen Medien anbietet. Dieser Perspektivenwechsel soll eine authentische Wahrnehmung Afrikas ermöglichen.
Nachrichten sind heute ein flüchtiges Gut. Wie generieren Sie Ihre Informationen und wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit in der Berichterstattung?
Wir arbeiten vor allem mit der Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) in Berlin zusammen. Die Afrika-Berichterstattung wird von IPS Africa in Johannesburg koordiniert. IPS verfügt über ein Netzwerk von mehr als 100 Journalisten in fast allen afrikanischen Ländern. Der Slogan von IPS Africa lautet „Telling Africa‘s Untold Stories“. Ich finde, das trifft die Qualität der Beiträge sehr gut. Es geht mehr um Hintergründe als um die harten Nachrichten. Ein großer Teil der Beiträge betrifft natürlich auch ökologische und entwicklungspolitische Themen, bei denen Nachhaltigkeit im Vordergrund steht.
Welche Themen dominieren gegenwärtig Ihren Nachrichtenticker?
Gegenwärtig haben wir aufgrund der aktuellen Entwicklungen einen Schwerpunkt Nordafrika. Wobei ich persönlich das sehr kritisch sehe: Die Revolutionen haben alle anderen Afrika-Themen fast völlig vom Bildschirm verschwinden lassen. Der Machtkampf in Côte d’Ivoire und das Referendum im Südsudan wurden als Thema völlig verdrängt, von den Wahlen in Benin, Niger oder Uganda bekam man kaum etwas mit. Wenn Nachrichten die öffentliche Wahrnehmung dominieren, ist offenbar für nichts anderes mehr Platz: Fukushima hat ja auch Libyen für eine Woche völlig aus den Schlagzeilen verbannt.
Seit 2010 verleihen Sie den Afrika-Preis – erzählen Sie uns mehr darüber.
Der Afrika-Preis ist ein anderes Vehikel für das gleiche Ziel – nämlich eine differenzierte Berichterstattung über Afrika zu ermöglichen. Aufgrund des hohen Anspruchs unserer Beiträge und der Strukturen des österreichischen Medienmarktes erreichen wir nur einen kleinen Ausschnitt der möglichen Leserschaft. Für Boulevardmedien sind wir nicht relevant, Qualitätsmedien wollen unsere Beiträge exklusiv. Deshalb haben wir uns entschlossen, österreichische Journalisten auszuzeichnen, die sich einer ausgewogenen Berichterstattung über Afrika verschrieben haben.
Reisen wir nach Mauritius – welche Rolle spielt die Insel im Verbund der afrikanischen Staaten?
Ich muss vorwegschicken, dass ich selbst leider noch nicht auf Mauritius war, somit ist mein Wissen dazu aus zweiter Hand. Mauritius gilt aber als eine der größten afrikanischen Erfolgsgeschichten. Gründe für die erfolgreiche Entwicklung liegen vor allem in der demokratischen Tradition und der diversifizierten Wirtschaft. Mauritius ist auch der einzige afrikanische Staat, der die UN-Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung in Reichweite hat. Auch wird Mauritius mehr und mehr zum Backbone des afrikanischen Internet: So hat z. B. das Glasfaserkabelprojekt Seacom seinen Sitz in Mauritius. Die Investitionen in die Informationstechnologie werden sich rasch bezahlt machen und den Strukturwandel zu einer hochprofitablen Dienstleistungswirtschaft günstig beeinflussen.
Woran denken Sie als erstes, wenn Ihnen Mauritius in den Sinn kommt?
An Textilien und Zucker. Und an einen baldigen Traumurlaub.
Seit 1968 ist Mauritius unabhängig, seit 1992 eine Republik. Jahrelang geprägt von europäischen Einflüssen, zwei Drittel der Bevölkerung stammen vom indischen Subkontinent – wie afrikanisch ist Mauritius überhaupt?
Ich denke, dass es das Attribut „afrikanisch“ außerhalb eines geografischen Kontexts gar nicht geben sollte. Die Vielfalt des Kontinents ist so großartig, dass Gemeinsamkeiten oft konstruiert werden. Die Entwicklung von Mauritius ist jedenfalls einzigartig: Die Insel wurde erst durch die Holländer im 17. Jahrhundert besiedelt. Wie Sie richtig sagen, ist die Bevölkerung heute hauptsächlich von indischen Einwanderern geprägt. Aber auch die kreolische Bevölkerungsgruppe mit rund 30 Prozent spielt eine wichtige Rolle – sie stammen vor allem aus Madagaskar und Mosambik.
Welche Rolle Spielt Mauritius in Ihrer Berichterstattung?
Wir bringen nicht sehr viele aber doch in einer gewissen Regelmäßigkeit Beiträge über Mauritius. Mit Nasseem Nackburally hat IPS in Port-Louis einen sehr engagierten Korrespondenten – leider findet sich nicht immer ein Abnehmer für die ausgezeichneten Beiträge.
Und welche Nachrichten und Information zur Insel im Indischen Ozean wurden in letzter Zeit veröffentlicht?
In letzter Zeit haben wir vor allem über die erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung von Mauritius berichtet. So z. B. über die Pionierrolle von Mauritius bei erneuerbaren Energien oder in der Betreuung von alten Menschen. Wir zeigen aber auch die Schattenseiten des wirtschaftlichen Erfolgs auf: Ein Viertel der mauritischen Bevölkerung ist an Diabetes erkrankt, ein weiteres Drittel gefährdet. Diese Erkrankungen könnten sich als Wachstumsbremse erweisen.
Was wünschen Sie Mauritius für die nächste Zeit?
Konfliktforscher wie Paul Collier sehen Staaten mit einer starken ethnischen Dominanz als Kandidaten für bewaffnete Auseinandersetzungen. Mit der erwähnten Zweidrittelmehrheit der indischen Bevölkerung fällt Mauritius in die gefährdete Gruppe. Es bleibt also vorrangig zu wünschen, dass es der Regierung gelingt, für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen und damit gesellschaftlichen Spannungen vorbeugen kann.
Vielen Dank für das Gespräch!